Rundblick

„Truckhell“ macht Raststätten zu Treffpunkten

Eine neue Handy-App aus Oldenburg vernetzt Lastwagenfahrer untereinander. Rundblick-Redakteurin Audrey-Lynn Struck war für ihren Gastbeitrag der Digitalisierung des Trucker­alltags auf der Spur – und begegnete ganz analog den Helden der Highways.

Nur ein Klick: Mit der Truckhell-App können sich Trucker zum Kaffee an der Raststätte verabreden.

Der Mangel an Lastwagenfahrern macht den Spedi­teuren und Logistik-Unternehmen in Niedersach­sen schon seit Jahren zu schaffen. Nun droht der russi­sche Angriffskrieg die Personalengpässe nochmal deutlich zu verschärfen, denn die ukrainischen Fahrzeugführer müssen in ihre Heimat zurück und auch viele polnische Kollegen werden aus Deutschland abgezogen. Da kommt die neue Handy-App „Truckhell“ aus Oldenburg gerade zur richtigen Zeit: Die soziale Plattform will Lastwagenfahrer miteinander vernetzen, die Einsamkeit auf den Autohöfen beenden und damit den Job wieder attraktiver machen.

Es ist eine Autobahn-Raststätte wie jede andere. Nur die Wimpel hinter der Fensterscheibe, auf denen in leuchtend roten Buchstaben „Truckhell“ steht, verraten mir, dass ich genau richtig bin: Von hier stammen die rot-weißen Lastwagen-Namensschilder, die in immer mehr Windschutzscheiben auf den Autobahnen zu sehen sind. Hinter der Marke „LKW-Hölle“ steckt Benedikt Jütte, der seinen schwarzen Truck vor dem Autohof Holdorf parkt und mir beschwingten Schrittes entgegeneilt. Er sei noch kurz bei der Arbeit aufgehalten worden, sagt Jütte, der eigentlich als Key Account Manager arbeitet. Vor knapp zwei Jahren entwickelte er zusammen mit den Brüdern Markus und Ole Nirwing nebenbei die App „Truckhell“, mit der sich Lastwagenfahrer aus ganz Deutschland untereinander vernetzen können.

Mittlerweile nutzen schon fast 7000 Lastwagenfahrer die App – kostenlos. „Deshalb waren viele am Anfang auch echt skeptisch. Sie sitzen den ganzen Tag auf dem Bock und kriegen gefühlt ständig auf den Sack, und dann möchte ihnen jemand plötzlich helfen?“, sagt Jütte. Im Sitzbereich der Raststätte, bei einer Tasse Kaffee, zeigt er mir die App. Auf der Startseite ist eine riesige Deutschlandkarte zu sehen, übersät mit kleinen Fotos. Jedes Bild steht für einen Fahrer, der gerade Pause macht, erklärt mir der Start-up-Mitgründer. Ist da nicht auch ein Lastwagenfahrer direkt auf unserem Rastplatz? Jütte nickt und klickt auf die Option „Grüße senden“. Dann heißt es warten. Ob der Fahrer namens Michael wohl reagiert und zu uns in die Tankstelle kommt? Wir starren gebannt zur Tür.

Bin dabei: Lastwagenfahrer, die an der Raststätte Gesellschaft möchten, können den Truckhell-Wimpel auf ihren Tisch stellen.

Fotos (4): Rundblick

Verabredung zur Auszeit

Ein Mann kommt herein, kauft sich ein Würstchen und ein Brötchen und setzt sich dann an den Nebentisch. „Bist du Michael?“, fragt Jütte. „Ja“, sagt Michael und beißt von seinem Brötchen ab. Vor zwei, drei Monaten empfahl ihm ein Freund die App. Seitdem ist Michael ein Fan von „Truckhell“. „Sonst steht man eher alleine herum. Das war schon immer ein Problem. Gerade Corona hat die Einsamkeit noch verstärkt“, erzählt der Getränke­fahrer aus dem Raum Köln. Eine weitere Schwierigkeit: Viele Fahrer sprechen kein Deutsch, eine richtige Unterhaltung ist damit kaum möglich. Durch die App hat Michael einen anderen Fahrer kennengelernt, der die gleiche Route wie er selbst fährt. „Wir haben jahrelang praktisch nebeneinander Pause gemacht und gar nichts davon gewusst.“ Seitdem verabreden sie sich mindestens einmal die Woche zu einer gemeinsamen Auszeit.

Ein Blick auf die Deutschlandkarte verrät dem Kölner Michael, wo sich andere Fahrer gerade aufhalten. Wann immer jemand eine Pause oder Urlaub macht oder anhält, um den Lastwagen zu be- und entladen, kann er es öffentlich oder privat mit seinen Freunden teilen. Mit einem Klick kann Michael sich über Google Maps zu anderen Fahrern leiten lassen. Nach einem Update sollen die Truckhell-Nutzer bald auch noch ihren Live-Standort beim Fahren teilen dürfen, verrät Jütte. Außerdem sind alle Raststätten und Parkplätze auf der Deutschlandkarte verzeichnet. „Die Autohöfe bekommen langfristig einen eigenen Account und können dann ihre Speise­karte oder sonstige Aktionen hochladen“, sagt Jütte. Bisher hat nur der Eurorastpark Münchberg in Ober­franken ein eigenes Profil.

Unter Truckern: Rundblick-Redakteurin Audrey-Lynn Struck, Truckhell-Gründer Benedikt Jütte und Trucker Michael (v. l.)

Foto: Rundblick

Keine schlechte Idee, findet Michael, der seit sechs Jahren als Trucker arbeitet. Gerade die Preise für einen Stellplatz über Nacht interessieren den Getränkelieferanten. „Beim Eurorastpark bezahlst du 25 Euro fürs Parken, damit werden dann 7,50 Euro für den Verzehr verrechnet“, erzählt Michael. Nach 16 Uhr werde es an einigen Rastplätzen schon schwierig, noch einen Stellplatz für die Nacht zu finden – vor allem, wenn das Parken kostenlos ist. Das Duschen ist oft in den Parkgebühren enthalten, kostet aber manchmal extra, weiß der Kölner, der nur ungern unterwegs unter die Brause steigt. Die meisten Sanitäranlagen haben schon lange keine Sanierung mehr gesehen. „Zum Glück bekomme ich die Parkgebühren von meinem Chef zurück. Das bekommt nicht jeder. Bei vielen geht das dann direkt vom Tageslohn ab“, erzählt Michael, während er ein weiteres Stück von seinem Brötchen abbeißt. Sein Tagessatz liegt bei 28 Euro, von denen er Spesen und Parkgebühren zahlen soll. Besonders empfehlen könne er das Rastplatz Bistro 48 in der Eifel. Dort könnten Fahrer kostenlos essen und duschen.

Truckeralltag „From Hell“, highwayromantik Mangelware

„Das schlimmste ist, dass wir für alles bezahlen müssen“, beschwert sich Michael. Fahrerkarte, Modulkarte und auch Führerschein müssen in regelmäßigen Abständen neu beantragt werden. „Ich habe gerade jetzt erst wieder 150 Euro bezahlt.“ Hätte der Lastwagenfahrer einen Wunsch frei, wären es allerdings nicht geringere Kosten oder mehr Gehalt: „Ich würde mir wünschen, dass sich die Leute normal auf der Straße verhalten, nicht vor einem plötzlich reinscheren und dass sie kein Überholverbot missachten.“ Wenn sein Gefährt nicht über ein automatisches Warnsystem verfügen würde, hätte Michael schon den einen oder anderen Unfall mit einem rücksichtlosen Autofahrer gehabt.

Ein Hupen unterbricht das Gespräch. Eine neue Nachricht ist bei „Truckhell“ eingegangen. Die App erinnert in ihrer Aufmachung fast ein bisschen an Facebook oder Instagram, nur sind die Nutzer vorwiegend Lastwagenfahrer. Man kann sich untereinander private Nachrichten schicken und jeder hat ein eigenes Profil, worüber er öffentlich Beiträge aus dem Truckerleben posten kann. „Kipper Paul“ hat gerade ein Foto geteilt, das ihn auf einem mit Asphalt beladenen Anhänger zeigt. Darunter die Bildunterschrift: „Guten Morgen Gemeinde, wünsche allen einen schönen Dienstag. Ich mache Sport, der beste Sport ist Asphalttransport.“ Ein anderer Nutzer hat unter ein Foto von einem Gebäude geschrieben: „Nach einer Stunde suchen habe ich es auch mal gefunden. Das kommt raus, wenn der Chef die Dispo übernimmt. Falsche Straßen und Ortschaften.“ Laut Jütte ist der Algorithmus schnell erklärt: „Je mehr Likes und Kommentare, desto relevanter ist der Beitrag und desto weiter oben wird er angezeigt.“

Einfach analog: Der Wimpel als Erkennungszeichen

Eine Pflicht, selbst Lastkraftfahrer zu sein, um Truckhell nutzen zu dürfen, gibt es nicht. Auch Gabelstapler, Baggerfahrer und sogenannte Truckspotter nutzen die App. „Mich hat letztens ein 13-jähriger Lastwagen-­Fan angeschrieben und gefragt, ob er sich auch anmelden darf“, erzählt Jütte mit einem Schmunzeln. Zusätzlich zur App bietet der Start-up-Gründer auch Merchandise-­Artikel wie Pullover oder Namensschilder und Wimpel an. Letztere haben auch noch eine ganz praktische Funktion. Mit ihnen können die Fahrer ihren Kollegen anzeigen: Ich freue mich über Gesellschaft. „Wenn jemand Pause in der Raststätte macht, holt er sich den Wimpel an der Kasse und stellt ihn auf seinen Tisch“, erklärt Jütte. 18 Autohöfe in ganz Deutschland sind mittlerweile mit einem Truckhell-­Wimpel ausgestattet. Im Autohof Holdorf, der Truckhell-Heimat, finden sogar regelmäßige Stammtische statt.

Aktuell wird die App auch für die USA und Australien getestet. „Die Amerikaner sind schon richtig heiß. Wir brauchen dann aber Investoren wegen der Kosten,“ sagt Jütte. Das Betreiben der App sei teuer. Jütte hat Entwicklerkosten, Gebühren für den Google- und Apple-Store und auch jede Interaktion über die App wird dem Betreiber von den großen Tech-Konzernen in Rechnung gestellt.

Die Merchandise-Artikel dienen deswegen als Quer­finanzierung, damit die App kostenlos bleibt. „Last­wagenfahrer hatten bisher keine Marke. Jetzt haben sie eine“, sagt Jütte. Sein Ziel: „Irgendwann hat jeder so ein verdammtes Truckhell-Schild in seinem Wagen und wenn ich dann mal auf eine Raststätte fahre, tragen alle Truckhell-Outfits und haben eine geile Zeit.“
Michael ist schon längst komplett ausgestattet. In seiner Windschutzscheibe prangt auf der rechten Seite ein Metallschild mit seinem Namen, auf der linken Seite das Truckhell-Schild. Auch einen Pullover hat er bereits gekauft. „Für mich gehört das einfach dazu.“

[AUDREY-LYNN STRUCK]


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