Die Lage der Industrie

Foto: gettyimages (francescoch)

Industrie sieht keinen
Silberstreif am Horizont

Die Industrie blickt aktuell sehr pessimistisch in die Zukunft. Geschwächt durch Lieferengpässe und die Corona-Pandemie, müssen sich die Unternehmen auf die Folgen des Ukraine-Krieges einstellen. Neue Zahlen der Arbeitgeberverbände zeichnen eine Stimmung in den Branchen, die von wenig Hoffnung geprägt ist.

Um es ohne Umschweife zu sagen: Die Lag ist ernst und in Teilen unserer Industrie außer­ordentlich kritisch.“ Mit diesen Worten umschreibt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des ADK, die aktuelle Situation der Metall-, Elektro-, Kautschuk- und Kunststoffindustrie. Im März hatten vier Arbeitgeberverbände unter den Mitgliedsfirmen aus der Industrie eine Konjunkturumfrage durchgeführt, um ein aktuelles Lagebild erstellen zu können. Dieses zeigt nun eine Industrie, die noch mit zahlreichen Nachwirkungen der Corona-Pandemie kämpft, während sie sich geschwächt bereits der nächsten Krise stellen muss. Fast in allen Branchen ist die Situation prekär. „Umso wichtiger scheint mir zu sein, dass die Politik die Situa­tion nicht durch fehlerhafte Entscheidungen weiter verschlimmert. Es geht jetzt vor allem um Sicherheit: Planungssicherheit, Versorgungssicherheit, Liquiditätssicherung und Beschäftigungssicherung“, sagt Schmidt

Quelle: NiedersachsenMetall-Umfrage 24.02.-10.03.2022

Schon vor dem 24. Februar 2022, dem Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine, waren durch Nachfrageeinbrüche, Chipmangel und Lieferengpässe große Teile der Industrie angeschlagen. „Die Industrie ist aus einer Position der Schwäche in die Ukraine-Krise gegangen. Zwei Jahre Pandemie haben in nahezu allen bedeuten­den Branchen schwere Bremsspuren hinterlassen“, sagt Schmidt. Das Produktionsniveau der Metall- und Elektroindustrie sowie der Kautschuk- und Kunststoff­industrie lag vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges immer noch unterhalb des Vorkrisenniveaus, die Autoindustrie lag sogar minus 36 Prozentpunkte unter dem Produktionsniveau vor Corona. Von 2017 bis 2021 hat sich das Volumen der in Deutschland produzierten Pkw von 5,6 Millionen Fahrzeugen im Jahr auf nur noch 2,6 Millionen Fahrzeuge mehr als halbiert. „Dies ist binnen vier Jahren ein in der Geschichte der Automobilindustrie nie zuvor gekannter Produktionseinbruch“, sagt Schmidt. „Und davon besonders betroffen ist die Autozulieferbranche, weil sie überwiegend für die inländischen Werke der Autohersteller arbeitet.“

Schmidt ist überzeugt, dass dieses Lagebild noch deutlich schlechter aussehen würde, wenn es die Möglichkeit der Kurzarbeit nicht gäbe: „Es war die Kurzarbeitergeld-Regelung, die trotz dieses nie zuvor erlebten Produktionseinbruchs einen extremen Abbau von Arbeitsplätzen verhindert hat.“

Trübe Bilanz: Zwei Jahre Pandemie haben in der Industrie schwere Bremsspuren hinterlassen, fasst Dr. Volker Schmidt auf einer Pressekonferenz zusammen

Fotos (2): Axel Herzig

Es geht jetzt vor allem um Sicherheit: Planungssicherheit, Versorgungssicherheit, Liquiditätssicherung und Beschäftigungssicherung.

Fast 80 Prozent der befragten Unternehmen konnten auf diese Weise Arbeitsplätze sichern. „Die Kurzarbeiter­geld-Regelung kann zu Recht als deutsches Erfolgsmodell bezeichnet werden. Wir werden sie auch 2022 und möglicherweise auch 2023 weiter brauchen“, sagt Schmidt.

Denn die Unternehmen blicken mit großer Sorge in die Zukunft. Schon im Januar lagen die Energiepreise 67 Prozent über dem Niveau des Vorjahres, seit Kriegsbeginn sind sie regelrecht explodiert. Dazu kommen die teils massiv gestiegenen Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Ruß und zum Beispiel das Edelgas Neon, das für die Halbleiterproduktion unverzichtbar ist. Rund die Hälfte der Firmen rechnet daher mit deutlichen Umsatzrückgängen und teils drastischen Gewinneinbußen für 2022. „Es gibt nicht wenige, die deshalb bereits Investi­tionen zurückfahren und die Verlagerung der Produktion an kostengünstigere Standorte prüfen“, sagt Schmidt.

Quelle: BDEW (Mrz. 2022); Anmerkungen Gesamtmetall auf Basis Gas-Notfallplan BMWi (2019)

Hinzu kommt die Angst vor einem Energieembargo, das auch Erdgas miteinschließt. Kommt es zu einem solchen Embargo und der Staat greift in die Verteilung des Erdgases ein, würde nach jetzigem Stand die gesamte Industrie weitgehend von der Gasversorgung getrennt. Denn bei einer erheblichen Störung der Gasversorgung greift die „Notfallstufe“ des Notfallplans und es erhalten nur noch die sogenannten geschützten Kunden Gas. Dazu gehören neben der kritischen Infrastruktur (Rettungskräfte, Krankenhäuser, systemische Gaskraftwerke) Privathaushalte, nicht aber die Industrie. „Dies hätte die Stilllegung ganzer Branchen zur Folge, einschließlich der Grundstoffindustrie mit irreparablen Schäden des Anlagevermögens. Dies wäre der Super-GAU für unsere Industrie und für Millio­nen von Beschäftigten“, sagt Schmidt. Vor allem die Chemie-, Kunststoff-, und Kautschuk-Branche sowie der Stahl­sektor und die Glasproduktion würden langfristige Schäden erleiden. „Ein Stahlwerk oder eine Glaswanne kann man nicht nach Belieben an- und ausschalten.“ Die Bundesregierung müsse sich daher für eine Nachbesserung des Notfallplans auf europäischer Ebene einsetzen und auch systemrelevante Industriebetriebe in die Kategorie der geschützten Kunden mit aufnehmen.

Wir plädieren dringend für eine sofortige, pragmatische Senkung der Steuern und Abgaben auf Energie auf den EU-Mindestsatz.

Zahlreiche Betriebe dürften dennoch in Existenznot geraten. So habe die Umfrage ergeben, dass ein Drittel der Unternehmen ihre wirtschaftliche Existenz bei Fortdauer des Konflikts ernsthaft in Gefahr sehen. „Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die derzeitige Situation, wie auch die Zukunftserwartungen der Betriebe, von einem bisher nicht gekannten Pessimismus im Hinblick auf Umsatz- und Gewinnentwicklung geprägt sind.“

Die Frage etwa in der Autozulieferindustrie laute: Wie soll aus geschrumpften Umsätzen und roten Zahlen noch massiv in Dekarbonisierung, neue Antriebe, Autonomes Fahren und Digitalisierung investiert werden?

Die Kurzarbeitergeld-Regelung kann zu Recht als deutsches Erfolgsmodell bezeichnet werden. Wir werden sie auch 2022 und möglicherweise auch 2023 weiter brauchen.

Daher komme es nun auf die Politik an. „Wir plädieren dringend für eine sofortige, pragmatische Senkung der Steuern und Abgaben auf Energie auf den EU-Mindestsatz“, sagt Schmidt. Neun von zehn Unternehmen sehen darin einen entscheidenden Hebel. „Die Energiepreis-Explosion droht zahlreiche gesunde Unter­nehmen zu zerstören. Deswegen ist der gelegent­lich erhobene Einwand, die Unternehmen müssten sich an höhere Marktpreise gewöhnen, völlig unangebracht“, sagt Schmidt. Denn die deutsche Politik sorge mit ihren europaweit höchsten Steuern und Abgaben auf Industriestrom selbst für eine immense Wettbewerbsverzerrung. „Im Vordergrund muss jetzt die kurzfristige Liquiditätssicherung der Betriebe stehen“, sagt Schmidt. Eine Insolvenzwelle von bisher nicht gekanntem Ausmaß sei andernfalls nicht auszuschließen.


[ISABEL CHRISTIAN]

Fotos (2): Axel Herzig

Zukunftssicher: Für die Unternehmen ist Sicherheit in dieser neuen Krise ein zentrales Anliegen.

Haben Sie Fragen?

Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie von unserem Referent für Wirtschaftspolitik Moritz Mogwitz.

Schreiben Sie eine E-Mail!