Verbandswelt

„Stechuhr-Urteil“:
Das müssen Arbeitgeber jetzt zur Arbeitszeit-erfassung wissen

Im September hat das Bundesarbeitsgericht in einem viel beachteten Beschluss festgestellt, dass Arbeitgeber laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Was bedeutet das nun für die Betriebe? Eine Einordnung von unserem Leiter der Rechtsberatung in Hildesheim, Rechtsanwalt Christoph Putzer.

Wie kam es zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts?

In dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall ging es an sich darum, dass ein Betriebsrat festgestellt haben wollte, dass er ein über eine Einigungsstelle durchsetzbares Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems habe. Dem hat das Bundesarbeitsgericht eine Absage erteilt, in dem es festgestellt hat, dass Arbeitgeber schon aus dem Arbeitsschutzgesetz heraus verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, sodass für ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte kein Raum bleibt. Somit hat das Bundesarbeitsgericht im Wege eines obiter dictum, also „bei Gelegenheit“ die bisher herrschende Meinung zur Frage der Arbeitszeiterfassung in Deutschland auf den Kopf gestellt. Denn bisher war allgemein anerkannt, dass eine umfassende Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten so lange nicht besteht, wie dies nicht durch den Gesetz­geber in das Arbeitszeitgesetz eingeführt wird.

Es bedarf dringend noch einer korrektur durch den gesetzgeber. angekündigt ist diese bis zum ende des ersten quartals 2023.

Christoph Putzer,
Rechtsanwalt und Leiter der
ADK-Rechtsberatung in Hildesheim

Was ist an dem Beschluss so brisant?

Derzeit wird heiß diskutiert, ob die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht eine unzulässige Rechtsfortbildung darstellt und insoweit wegen eines Verstoßes gegen Artikel 20 Grundgesetz rechtswidrig ist. Daher wird sich sicherlich auch noch das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung beschäftigen müssen. Davon unabhängig stellt sich aber die Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung konkret für die Arbeitgeber hat.

Was bedeutet die Entscheidung für den Arbeitgeber?

Dem Beschluss zufolge sind Arbeitgeber nun verpflichtet, eine wie auch immer geartete Zeiterfassung allen Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen und auch dafür zu sorgen, dass diese genutzt wird. Dabei steht es den Arbeitgebern frei, auf welche Weise Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten sowie die Pausen der Arbeitnehmer dokumentiert werden. Insoweit ist es nach dem Bundesarbeitsgericht auch möglich, dass die Zeiterfassung in die Verantwortung der Arbeitnehmer gelegt wird und es zu Eigenaufschreibungen der Arbeitnehmer kommt. Auch sind besondere Formen von Arbeitszeitregelungen wie Vertrauensarbeitszeit weiter zulässig! Wichtig ist nur – und das betont das Bundesarbeitsgericht ganz deutlich –, dass der Arbeitgeber, wenn er die Zeiterfassung an die Arbeitnehmer delegiert, hier entsprechende Überwachungspflichten hat, damit es auch tatsächlich zur Zeiterfassung kommt. Auch sind besondere Formen von Arbeitszeitregelungen wie Vertrauensarbeitszeit weiter zulässig! Wichtig ist nur – und das betont das Bundesarbeitsgericht ganz deutlich –, dass der Arbeitgeber, wenn er die Zeiterfassung an die Arbeitnehmer delegiert, hier entsprechende Überwachungspflichten hat, damit es auch tatsächlich zur Zeiterfassung kommt.

Da die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten ab sofort und ohne Ausnahmen gemäß dem Arbeitsschutzgesetz besteht, stellt sich die Frage, was bei Arbeitszeiterfassungsverstößen passiert.

Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass ein Verstoß gegen die aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts verpflichtende Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG keine Ordnungswidrigkeit darstellt. Insoweit wäre ein Verstoß gegen die nunmehr bestehende Verpflichtung, ein umfassendes Arbeitszeitsystem einzurichten, nicht bußgeldbewehrt. Es gibt auch kein Klagerecht des Betriebsrates, da im Arbeitsschutzgesetz lediglich Individualansprüche der Arbeitnehmer geregelt sind. Diese könnten somit nur individualrechtlich gegen Verstöße vorgehen. Arbeits­zeit­erfassungsverstöße führen auch zu keiner Beweis­last­umkehr in Verfahren zu Überstundenvergütungen. Hier hatte das Bundesarbeitsgericht bereits im Mai 2022 festgestellt, dass die Verpflichtung zur Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und der Zurechnung von Überstunden gegenüber dem Arbeitgeber weiterhin durch den Arbeitnehmer erfolgen muss.

Wie geht es nun weiter?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist insofern fragwürdig, als dass jenseits der Regelungen des Arbeitszeitgesetzes gesetzliche Handlungspflichten der Arbeitgeber festgestellt wurden. Deshalb bedarf es eines korrigierenden Eingriffs des Gesetzgebers. Dieser soll auch kommen, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat einen Referentenentwurf für eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes bis Ende des ersten Quartals 2023 angekündigt. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Erfassungspflicht von Arbeitszeiten in das Arbeitszeitgesetz aufnehmen wird, wo diese Verpflichtung auch hingehört. Darüber hinaus ist aber zu erwarten, dass der Gesetzgeber auch von den Möglichkeiten der europäischen Arbeitszeitrichtlinie Gebrauch machen und Ausnahmen von der Aufzeichnungspflicht vorsehen wird. Dies gilt voraussichtlich insbesondere für besondere Arbeitnehmergruppen, wie beispielsweise leitende Angestellte oder besondere Formen der Erbringung der Arbeitsleistung (Vertrauens­arbeitszeit). Wir werden Sie im Rahmen unserer Informationsveranstaltungen und Publikationen zu diesem Thema weiter auf dem Laufenden halten.

[Christoph Putzer]

X4B-Seminar

Mehr zum Thema „Arbeitszeit­gesetz“ erfahren Sie in einem X4B-Seminar am 27. Juni 2023:

x4b.de/veranstaltung/arbeitszeitgesetz-2

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