Lieferkettengesetz: EU will Unternehmen weiter belasten
Seit Anfang des Jahres gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG). Auch wenn es im ersten Schritt unmittelbar nur Firmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern betrifft, so hat es Auswirkungen auf zahlreiche Betriebe, die als Zulieferer für die großen Unternehmen fungieren. Angesichts der multiplen Krisen, die unsere Unternehmen derzeit über Gebühr belasten, fordert unter anderem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ein Aussetzen des deutschen Lieferkettengesetzes bis 2025. Viel Zeit zur Anpassung bleibt den deutschen Betrieben ohnehin nicht, denn kurz nach Berlin richten sich die Augen schon auf Brüssel. Hier wollen das Europäische Parlament und der Europäische Rat ab Frühjahr mit der Europäischen Kommission über deren Vorschlag für eine „Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensführung“ verhandeln und bis Ende 2023 ein eigenes EU-Lieferkettengesetz verabschieden. Dieses müsste innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgewandelt werden und könnte deutlich schärfer ausfallen als die jetzigen Bestimmungen.
Das LkSG verpflichtet Firmen mit Sitz in Deutschland, beim Einkauf von Materialien auf Umweltstandards und die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Seit 1. Januar 2023 gilt es für Betriebe mit 3.000 und mehr Mitarbeitern, ab 2024 wird diese Grenze auf 1.000 Arbeitnehmer abgesenkt. Die für 2025 geplante EU-Regelung soll bereits für Unternehmen mit 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro weltweitem jährlichen Nettoumsatz gelten. Für einige Branchen ist sogar eine Untergrenze von 250 Beschäftigten im Gespräch, wenn ab einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro mindestens die Hälfe in einem sogenannten Risikosektor erwirtschaftet wird.
Als Risikosektoren gelten unter anderem die Textilwirtschaft, Chemie und die Gewinnung mineralischer Ressourcen (z.B. Förderung von Erdgas oder Metallen). Ausschlaggebend für die Risikoklassifizierung sollen Erkenntnisse über die Situation in den Herkunftsländern sowie die einzelnen Zulieferbetriebe sein. Zudem soll sich nach dem Willen der EU die Sorgfaltspflicht der Unternehmen nicht nur auf die Zulieferer beschränken, sondern auch die Kunden umfassen.
Ein Vorhaben, das alles andere als praxistauglich ist. „Von kleinen und mittleren Unternehmen kann nicht verlangt werden, ihre gesamte Wertschöpfungskette zu überwachen, geschweige denn entsprechenden Einfluss auf Dritte in weit entfernten Regionen zu nehmen“, sagt BDA- Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Und Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie, fordert: „Ein Lieferkettengesetz muss berücksichtigen, dass kleine und mittlere Unternehmen wegen begrenzter Ressourcen und geringerer Marktmacht weniger Einflussmöglichkeiten auf die Lieferketten haben. Die EU sollte die Unternehmen künftig besser über menschenrechtliche Risikolagen informieren.“
Zweiter Problempunkt, in dem die EU stark von der deutschen Regelung abweicht, ist die Haftungsfrage. Das deutsche Gesetz entbindet Zulieferer, die nicht direkt in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, von Bußgeldern oder anderen gesetzlichen Verpflichtungen. Auf EU-Ebene ist diese Frage noch offen. Allerdings gibt es Überlegungen, neben Bußgeldern auch eine zivilrechtliche Haftung einzuführen, wenn durch vorsätzliche oder fahrlässige Versäumnisse in der Wertschöpfungskette Schäden entstehen. Dieses Vorhaben lehnen Arbeitgeberverbände unisono entschieden ab. „Unternehmen können nur für eigene Aktivitäten in der Lieferkette haftbar sein, nicht für diejenigen ihrer Geschäftspartner oder deren Lieferanten“, sagt Niedermark.
Aus Sicht der deutschen Unternehmen erweist die EU deshalb mit dem derzeitigen Richtlinienvorschlag der Weltwirtschaft einen Bärendienst: Statt die Menschenrechts- und Umweltsituation in Schwellen- und Dritte-Welt-Ländern deutlich zu verbessern, werden viele Betriebe die Anzahl ihrer Zulieferer reduzieren und sich aus Ländern mit besonders problematisch vermuteten Verhältnissen ganz zurückziehen.
[Isabel Christian]