Abschied auf Raten?
Die Kautschuk-
Industrie hat es in Deutschland schwer
Die Produktion lahmt deutlich, eine Standortverlagerung ins Ausland wird zunehmend attraktiv: Neue Zahlen zeigen, dass die Kautschuk-Branche in Deutschland schwere Zeiten durchlebt.
Die jüngsten Daten aus der deutschen Kautschukindustrie zeichnen ein düsteres Bild: Seit nunmehr vier Jahren wird die Branche durch zahlreiche Krisen geschüttelt, vielen Betrieben scheint langsam die Luft auszugehen. Aktuell bezeichnen mehr als die Hälfte der Unternehmen ihre wirtschaftliche Lage als angespannt, jedes siebte Unternehmen sieht sich sogar in seiner Existenz bedroht. Nur ein Drittel bewertet seine momentane Situation als gut oder akzeptabel. Das geht aus einer neuen Umfrage des Wirtschaftsverbands der deutschen Kautschukindustrie (wdk) hervor. Hauptgrund sind die Rekordpreise für Energie und Rohstoffe, die den Gewinn empfindlich schmälern und nur zum Teil an die Kunden weitergegeben werden können. Dringend notwendige und von der Politik geforderte Investitionen in die Zukunft, wie etwa in innovative und nachhaltige Produktionsverfahren oder die Digitalisierung, sind so kaum noch möglich. „Aus einer Sandwich-Position aus wegbrechenden Umsätzen bei gleichzeitig stark steigenden Kosten kann kein Unternehmen große Klimmzüge bei den Investitionen machen“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des ADK.
Schon 2018 und 2019 – noch vor der Coronapandemie – ging das Produktionsvolumen laut wdk in der Kautschukindustrie zurück, 2018 um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, ein Jahr später sogar um 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der große Einbruch allerdings kam mit Beginn der Coronapandemie: Die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen wie Naturkautschuk stand wegen der weltweiten Lockdowns monatelang weitgehend still, anschließend schossen die Preise für die knappen Vormaterialien und die Frachtraten in die Höhe. Unterm Strich endete das Jahr 2020 für die Branche daher mit einem Minus in der Produktion von fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2021 standen die Zeichen auf leichte Erholung (+4,9 Prozent im Vorjahresvergleich), doch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine machte alle Hoffnungen zunichte, 2022 endete mit einem erneuten Minus von 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Vergleicht man den Ist-Zustand mit dem Produktionsvolumen von 2017, so ist die Produktion in den vergangenen fünf Jahren um ein Fünftel zurückgegangen.
Als Hindernisse für die Produktion lassen sich drei wesentliche Faktoren ausmachen: fehlende Vorleistungen, fehlende Mitarbeiter und fehlende Nachfrage. Den Materialmangel beklagen fast zwei Drittel der befragten Betriebe, nahezu jedem Zweiten fehlen Fachkräfte. Wegbrechende Nachfrage ist für 36 Prozent der Unternehmen ein großes Problem. Zudem wird die Wettbewerbsfähigkeit der Branche durch die exorbitant gestiegenen Preise für Strom und Gas sowie hohe Lohnstückkosten bedroht. Durchschnittlich liegen Löhne, Sozialbeiträge und die weiteren Personalkosten im Ausland um 20 Prozent unter dem deutschen Niveau. Das zeigt ein aktueller Vergleich von 28 Wettbewerbsländern durch das Institut der deutschen Wirtschaft.
Daher wird für viele Unternehmen in der Branche eine Verlagerung der Produktion ins Ausland immer attraktiver. Jeder achte Betrieb hat im vergangenen Jahr mindestens Teile der Produktion ins Ausland verlagert, für das laufende Jahr plant dies jeder siebte Betrieb. Die Investition in ausländische Standorte hilft zwar dabei, neue Märkte zu erschließen und durch preisgünstige Zulieferungen heimische Werke zu sichern. Dennoch ist die Entwicklung ein Alarmsignal, denn Werke im Ausland bedeuten für den heimischen Standort den Verlust von Arbeitsplätzen und schlussendlich auch von Wohlstand am Industriestandort Deutschland.
[ISABEL CHRISTIAN]