Tarifverhandlungen 2023

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In der Kautschuk- Branche lebt die Sozialpartnerschaft

Tarifpolitik kann aufgeregt, geradezu hysterisch sein. In einer solch aufgeladenen Stimmung, wie sie Anfang des Jahres 2023 unter anderem im öffentlichen Dienst vorgeherrscht hat, sind vernünftige Kompromisse, die den berechtigten Interessen beider Seiten gerecht werden, kaum noch möglich. Ganz anders verlaufen dagegen die Verhandlungen in der Kautschuk- und Kunststoffindus­trie im Februar 2023. Seit vielen Jahren ist die Tarifpolitik in dieser Branche von einem respektvollen, sachlichen und professionellen Umgang beider Lager geprägt. Schon beim vorigen Tarifvertrag 2021 konnten sich die Verhandlungspartner in nur zwei Runden auf einen Abschluss mit mehr als zweijähriger Laufzeit einigen. Und auch in diesem Februar kamen Arbeitgeber und Gewerkschaft in zwei Verhandlungsrunden innerhalb von drei Wochen zu einem für beide Seiten akzeptablen Ergebnis. „Wieder einmal ist es uns gelungen, durch eine lange Laufzeit von 24 Monaten unseren Unter­nehmen Planungssicherheit in einer äußerst schwierigen Zeit zu geben“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des ADK.

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Planungssicherheit – der Umgang mit diesem Wunsch von Betrieben und Beschäftigten ist ein Beispiel dafür, wie vertrauensvoll das Verhältnis zwischen Kautschuk-­Arbeitgebern und der Gewerkschaft grundsätzlich ist. Denn um die dringend benötigte Planungssicherheit zu bekommen, hatten sich der ADK und die IG BCE darauf verständigt, schon weit vor Auslaufen des Tarifvertrags Ende Mai die ersten Gespräche zu führen.

So trafen sich die Vertreter beider Seiten schon Anfang Februar, um erste gemeinsame Positionen auszuloten. „Ich habe die Auftaktgespräche als extrem ziel- und konsensorientiert empfunden“, lobte Thomas Hofmann, Personalchef bei Pirelli und Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, nach den ersten Tarifgesprächen. Man habe einen guten Einstieg in die Thematik gefunden und er sei optimistisch gewesen, schon im nächsten Gespräch auf einen Abschluss für die bundesweit rund 70.000 Beschäftigten der Branche zuzusteuern.

ehn Stunden intensive Verhandlungen waren allerdings noch nötig, um drei Wochen später beim zweiten Zusammentreffen in Fulda tatsächlich einen Kompromiss zu finden, dem beide Seiten zustimmen konnten. Der neue Tarifvertrag sieht innerhalb der Laufzeit dreimal eine Erhöhung der Entgelte um einen Sockel­betrag vor. Zusätzlich bekommen die Beschäftigten eine Inflationsausgleichs­prämie von insgesamt 3.000 Euro, ausgezahlt in vier Raten jeweils im März und Juli 2023 und 2024. „Durch die Prämie, die von unseren Unternehmen in der aktuell schwierigen Zeit erst einmal erwirtschaftet werden muss, und die erstmalige Einführung von Sockelbeträgen enthält der Tarifvertrag eine starke soziale Komponente, da besonders die unteren Lohngruppen überproportional von den Festbeträgen profitieren“, sagt Hofmann.

„Insgesamt sind wir unaufgeregt und sozialpartnerschaftlich zu einem tragbaren, vernünftigen Ergebnis gekommen“

Dr. Volker Schmidt,
Hauptgeschäftsführer

Dennoch seien die Unternehmen für den Kompromiss an die Grenze der Belastbarkeit gegangen. Positiv für die Betriebe seien vor allem die lange Laufzeit und die Verteilung der Entgelt­erhöhungen vor allem auf 2024 und 2025. „Dadurch, dass wir erst in den kommenden zwei Jahren den Sockel spürbar anheben, schaffen wir unseren Unter­nehmen in der momentan für viele Betriebe der Branche sehr schwierigen Zeit dringend benötigte Luft zum Atmen“, so Schmidt.

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Der Vertrag im Einzelnen

LAUFZEIT

Der Tarifvertrag für die rund 70.000 Tarifbeschäftigten läuft ab dem 1. Juni 2023 insgesamt 24 Monate bis zum 31. Mai 2025. Um Unternehmen und Beschäftigten die dringend benötigte Planungssicherheit zu geben, hatten sich die Sozialpartner darauf verständigt, die Tarifgespräche vorzuziehen und schon einige Monate vor dem Auslaufen des bisherigen Tarifvertrags zu ersten Verhandlungen zusammenzukommen. Dieser Plan ging voll auf, beide Seiten konnten sich schon nach dem zweiten Treffen auf einen Kompromiss einigen.

SOCKELBETRÄGE

Erstmals ist es gelungen, eine Erhöhung der Entgelte um sogenannte Sockelbeträge zu vereinbaren – feste Summen anstelle von prozentualer Erhöhung. Zum 1. Oktober des laufenden Jahres steigen die Gehälter der Beschäftigten um 60 Euro, zum 1. März 2024 um weitere 80 Euro. Ab dem 1. Januar 2025 beträgt die Sockel­erhöhung 110 Euro. Auszubildende erhalten in der ersten Stufe 30 Euro, in der zweiten Stufe steigt ihre Vergütung um 40 Euro und zum Januar 2025 erhalten sie 55 Euro monatlich mehr. „Durch die Sockelbeträge enthält der neue Tarifvertrag eine starke soziale Komponente, da besonders die unteren Lohngruppen überproportional von den Festbeträgen profitieren“, sagt Thomas Hofmann, Verhandlungsführer der Arbeitgeber und Personalchef von Pirelli.

INFLATIONSAUSGLEICHSPRÄMIE

Zusätzlich zur Erhöhung um die Sockelbeträge bekommen die Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro, ausgezahlt in vier Tranchen à 750 Euro. Auszubildende erhalten 1.000 Euro, ebenfalls ratierlich. Ausgezahlt wird die Prämie jeweils im März und Juli 2023 und 2024.´

Dieses Geld fließt brutto wie netto, es werden also keine Steuern oder Abgaben darauf fällig. Mitglieder der Gewerkschaft IG BCE erhalten nach deren Angaben im Mai 2024 außerdem einmalig 200 Euro Mitgliederbonus, finanziert über den von den Sozialpartnern getragenen Verein zur Beschäftigungs­förderung (VzB).