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Globale Lieferketten-Havarie zwingt Autoindustrie in den Kriechgang

Boomende Nachfrage, doch die Bänder stehen still: Rund um den Globus kommt es bei Automobilherstellern zu Produktionsstopps. Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe, allen voran in der Automobilindustrie, leiden seit Beginn der Corona-Krise unter akuten Lieferengpässen.

Im ersten Halbjahr 2021 entlarvt sich die internationale Lieferkette trotz voller Auftragsbücher als Achilles­ferse der wirtschaftlichen Aufholjagd. Nach Angaben der EU-Kommission berichteten im April mehr als 40 Prozent der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland von Produktionsstörungen aufgrund eines Mangels an Rohstoffen und Vorleistungen. Betroffen sind fast alle Vormaterialien von Metallen über die Grundstoffe der Kunststoff-, Kautschuk- und Chemieindustrie bis hin zu Halbleitern.

Die Situation war schon vor Corona schwierig und hat sich nun noch deutlich verschärft.

Dr. Sven Vogt, Vorsitzender des ADK und Geschäftsführer von KKT Frölich

Dr. Sven Vogt, ADK-Vorsitzender, berichtet von einer desaströsen Lieferzeit für Naturkautschuk von bis zu 40 Wochen gegenüber zwei bis acht Wochen in normalen Zeiten. Die Gründe für die Lieferengpässe sind vielschichtig. Zunächst wurde im Zuge der Infektionsschutzmaßnahmen die Produktion weltweit heruntergefahren. Lockdown und Homeoffice führten zu einer Verlagerung der privaten Konsumausgaben von Dienstleistungen hin zu langlebigen Konsumgütern. Daraufhin haben sich beispielsweise Halbleiterhersteller umorientiert und ihre Chips vorwiegend an die Elektronik- und Telekommunikationsbranche geliefert, die Autoindustrie hatte das Nachsehen. Auch Kautschuk wird immer öfter in der Elektronik- und Informationstechnik angewandt. Hinzu kamen Einzelereignisse wie die vorübergehende Blockade des Suez-Kanals oder Extremwetter in den Vereinigten Staaten.

Leere Container, fehlende Rohstoffe und Bauteile: Lieferengpässe lassen vor allem die Bänder der Automobil­industrie stillstehen.

Einer aktuellen Umfrage unserer Bürogemeinschaft der Arbeitgeberverbände mit dem ADK zufolge waren im Juni dieses Jahres 89 Prozent der Unternehmen im Bereich Automotive von Materialknappheit betroffen. Zudem sind massive Kostensteigerungen der Vorprodukte von durchschnittlich 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Insbesondere die Autozulieferer leiden unter höheren Preisen für Kautschuk und Stahl sowie steigenden Frachtraten. Allein der durchschnittliche Preis für Naturkautschuk ist weltweit innerhalb eines Jahres um mehr als 72 Prozent gestiegen. Der Schifftransport ist so teuer wie nie zuvor, so erreichte der World Container Index kürzlich einen neuen Spitzenwert.

... der Automotive-Unternehmen waren im Juni von Material-Knappheit betroffen

Erste neue Entwicklungen machen gleichwohl Mut: Bosch baut eine neue Chipfabrik in Dresden, auch TSMC, der größte Chiphersteller der Welt, prüft den Bau einer Chipfabrik in Deutschland. Experten plädieren anstelle des Just-in-Time-Geschäftsmodells für eine weitsichtige Lagerhaltung von kritischen Vorprodukten, wie etwa Mikrochips und Spezialkautschuk. „Wir hoffen auf ein Umdenken nach der Krise, getreu dem Motto: In der Not wächst das Rettende“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des ADK.

[MORITZ MOGWITZ]