Corona und Wir

Wollen den Standort Deutschland hochhalten: Fertigungsund Technikleiter Benjamin Illmann, Geschäftsführer Michael Wolf und Vertriebsleiter Pierre Schäffer (von links) des Reifenwerks Heidenau.

Ein Team für Lebensträume

Das Reifenwerk Heidenau bedient den Rennsport-Markt der Profis
und der Amateure – und profitiert vom Corona-Effekt.

Gokart-Fahren – für die einen ist es ein bisschen Spaß, für die anderen der Einstieg in den Motorsport. Das Reifenwerk Heidenau hat beide Zielgruppen im Blick. „Der Sport erlebt einen echten Boom“, sagt Michael Wolf. „Wer einmal Blut geleckt hat, bleibt oftmals dabei.“ Der geschäftsführende Gesellschafter hat zum Gespräch seine Führungsmannschaft aus Vertrieb, Fertigung und Produktentwicklung dazugebeten.

In allen Abteilungen wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet. „Wir sind so etwas wie die Corona-Gewinner“, sagt Wolf. „Die Menschen nehmen sich wieder Zeit fürs Hobby. Und auch die jungen Leute haben Lust am Zweirad entdeckt.“

Nachfrage nach Reifen für Seilbahn­räder, Pkw-Oldtimer und Fahrzeuge
von Lieferdiensten

In Zeiten unterbrochener Lieferketten aus Fernost wissen die europäischen Kunden die Zuverlässigkeit der Sachsen zu schätzen. Die Nachfrage nach Reifen für Kartrenner, Motorroller, Motorräder, Seilbahnräder, Pkw-Oldtimer oder Motorrad-Chopper ist zurzeit ebenso hoch wie die für Pneus zum Beispiel der Auslieferungsfahrzeuge von Lieferdiensten oder Postzustellern.

„Wo Sonderanfertigungen auch in geringen Stückzahlen und hohe Beanspruchung der Reifen zu finden sind, kommen wir ins Spiel“, sagt Vertriebsleiter Pierre Schäffer. „In Deutschland sind wir der einzige Anbieter, der Diagonalreifen von 4 bis 23 Zoll anbietet. Insgesamt kommen wir auf 560 verschiedene Artikel.“ Nicht höchste Geschwindigkeit, sondern komfortable Pneus, auch für hohe Belastung, sind die Stärke des Unternehmens.

Wer mit dem Motorrad in Timbuktu ist, möchte keine Reifenpanne haben.

Pierre Schäffer, Vertriebsleiter Reifenwerk Heidenau

In dieser Marktnische fühlen sich die Spezialisten aus der Nähe von Dresden pudelwohl. „Immer mehr Menschen mittleren Alters erfüllen sich den Lebenstraum, einmal mit dem Motorrad um die Welt zu reisen“, sagt Vertriebsleiter Schäffer. „Wer in Timbuktu ist, möchte keine Reifenpanne haben, sondern auf Nummer sicher gehen.“ Produziert wird nur in Deutschland. „Wir wollen nicht ausschließlich über den Preis definiert werden. Diese Strategie verfolgen wir konsequent“, erläutert Pierre Schäffer.

In den acht bis zu 2.000 Quadratmeter großen Produk­tionshallen im Reifenwerk Heidenau läuft trotz der vollen Auftragsbücher alles ruhig und konzentriert ab. 125 der insgesamt rund 200 Mitarbeiter arbeiten hier teilweise im Drei-Schicht-System. Die Maschinen sind auf Flexibilität ausgelegt. Eigene Fachabteilungen haben sie für den individuellen Bedarf gebaut und wissen sie auch jederzeit zu reparieren. Einige werden nur bei speziellen Kundenwünschen benötigt. „Roboter würden bei uns keinen Sinn machen. Unsere Mitarbeiter sichern uns die große Flexibilität – eine unserer Stärken“, sagt Benjamin Illmann, Leiter Fertigung und Technik.

Für Neuheiten zuständig: Entwicklungsleiter Marcel Schander und Senta Reichelt, Leiterin Mischungsentwicklung, mit einem Elektrokart-Reifen.

E-Mobilität erfordert spezielle Materialeigenschaften

In der Reifenheizpresse zischt es, Dampf entweicht, bevor Facharbeiter Felix Kramer einen Motorradreifen für eine Enduro entnimmt und kontrolliert. „Mit seinem geschulten Blick erkennt er sofort, ob der Reifen in Ordnung ist“, erklärt Diplom-Ingenieur Illmann. „So sorgen wir für unsere hohe Qualität.“ In der Entwicklungsabteilung von Marcel Schander und Senta Reichelt stapeln sich die Anfragen. „Darunter sind viele Start-ups“, sagt Schander. „Die wollen auf den Zug aufspringen, der sich um die boomende E-Mobilität in Gang gesetzt hat.“

Vom Wandel in der Automobilindustrie hin zum Elektro­fahrzeug profitieren auch die Hersteller von Sonderfahrzeugen. „E-Fahrzeuge sind auch für uns aktuell ein Hype“, ergänzt Reichelt. Kartbahnen profitieren von den umweltfreundlichen Fahrzeugen, weil die Belüftung der Hallen einfacher und die Geräuschentwicklung angenehmer wird. Kautschukmischungen für Reifen mit möglichst geringem Rollwiderstand sind gefragt. Außerdem sorgen die Akkus für deutlich mehr Gewicht der Fahrzeuge. Reifenkonstruktion und Materialeigenschaften müssen bei Reifen für E-Fahrzeuge optimiert werden.

[WERNER FRICKE]