Lage der Wirtschaft

Die EU muss den Unternehmen und Menschen im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft einen konkreten Mehrwert bieten

Durch internationale Krisen ist die EU gefordert wie nie zuvor in ihrer Geschichte – zugleich wächst die Kritik an Brüsseler Bürokratie-Vorgaben und EU-Klimaschutzmaßnahmen, wie die Debatte um das Verbrenner-Verbot zeigt. Welche gravierenden Folgen ein „Dexit“ für Deutschland hätte und wie sich die EU künftig wirtschafts- und außenpolitisch aufstellen sollte, erklärt der Europaabgeordnete und ehemalige Niedersächsische Ministerpräsident, David McAllister.

David McAllister

Am 12. Januar 1971 in Berlin geboren, wuchs David McAllister als Sohn eines Zivilbeamten der Britischen Armee und einer Deutsch- und Musiklehrerin auf. Im Alter von 13 Jahren zog die Familie nach Bad Bederkesa im Landkreis Cuxhaven. Mit einem Stipendium der Konrad- Adenauer-Stiftung studierte McAllister Rechtswissenschaften an der Universität Hannover und schloss 1998 mit dem zweiten Staatsexamen ab. Im selben Jahr wurde er für die CDU in den Niedersäch­sischen Landtag gewählt. Dort vertrat er seinen Wahlkreis bis 2014. Von 2003 bis 2010 war er Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion und wurde am 1. Juli 2010 zum Ministerpräsidenten gewählt. 2014 zog McAllister für die CDU ins Europäische Parlament ein. Seit Oktober 2015 ist er Vizepräsident der Europäischen Volks­partei (EVP).

Foto: David McAllister

Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, Wirtschafts- und Migrationskrise, Klimadebatte. Was bedeuten diese Entwicklungen für die bevorstehenden Wahlen?

Europa steht vor existentiellen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Wir bewegen uns in einem enorm volatilen geopolitischen Umfeld und müssen unsere Politik diesen Umständen anpassen. Nur auf diese Weise können wir unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand in Norddeutschland und der gesamten Europäischen Union verteidigen.

In Zeiten zunehmender politischer Polarisierung wird die anstehende Europawahl eine Richtungswahl für unseren Kontinent. Wir müssen die europäische Idee und ihre großartigen Errungenschaften gegen Radi-kale, Demagogen, Nationalisten und Putin-Unterstützer verteidigen. Europafeindliche Parteien fabulieren vom „Tod der EU“, ohne auch nur eine Sekunde lang zu berücksichtigen, dass das internationale Gewicht unseres Kontinents auf unserem Zusammenschluss und unserer erfolgreichen Integration beruht. Nationalistischer Größenwahn und eine Politik der Abschottung und der Angst ist angesichts der vielen Herausforderungen der vollkommen falsche Weg.

Im November könnte Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden und die Verlässlichkeit der USA als NATO-Partner erneut infrage stellen. Wie solle die EU auf eine mögliche zweite Trump-Amtszeit reagieren?

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unser engster Verbündeter und das werden sie auch bleiben. Trotzdem würde eine mögliche Wiederwahl von Trump unsere transatlantischen Beziehungen erneut auf eine harte Probe stellen – insbesondere im Hinblick auf die NATO, auf die Ukraine, auf den weltweiten Handel oder auf unsere Zusammenarbeit beim Klimaschutz.

In Zeiten globaler Konflikte und Krisen ist ein effektives und vertrauensvolles transatlantisches Bündnis un­erlässlich. Die Amtszeit von Trump 2016 bis 2020 hat jedoch gezeigt, dass er von dieser Ansicht unbeeindruckt ist.

In Europa müssen wir im November auf jeden Wahlausgang vorbereitet sein. Entscheidend ist, dass wir unsere Beziehungen zu den vielen transatlantischen Akteuren in der Wirtschaft, Politik und der Zivilgesellschaft institutionalisieren. So können wir sicherstellen, dass unser Bündnis während einer möglichen zweiten Amtszeit von Trump nicht zu weit auseinanderdriftet.

Innerhalb der EU gilt es, unsere Entscheidungsprozesse zu verbessern, um eine effektivere gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik zu schaffen. Europa braucht end­lich eine zukunftsfeste Sicherheitsstrategie, deren Effektivität nicht von dem Wahlausgang eines Bündnispartners abhängig ist. Transatlantisch bleiben und gleichzeitig europäischer werden – das ist die Leitlinie.

Eine Wiederwahl Trumps könnte auch für unsere Wirtschaft erhebliche Kosten produzieren. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) könnte das allein für die deutsche Wirtschaft einen Verlust von rund 150 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren bedeuten. Wie sollte die EU ihre Handelsbeziehungen vor diesem Hintergrund gestalten?

Die USA sind mit Abstand der größte Abnehmer von Waren „Made in Germany“: In 2023 gingen deutsche Produkte im Wert von 158 Milliarden Euro in die USA, zwei Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Aus diesem Grund bieten die jüngsten Vorschläge aus dem Trump-Lager, einen Zehn-Prozent-Zoll auf alle US-Importe einzurichten, Anlass zur Sorge. Daraus würde sich im Zweifel eine Spirale protektionistischer Maßnahmen ergeben, von der keine Seite profitiert.

Wir sollten uns möglichst rasch mit der Administration von Präsident Biden auf ein Rohstoffabkommen einigen, um die Diskriminierung europäischer Unternehmen bei Förderprogrammen des Inflation Reduction Acts (IRA) zu verringern und eine Wiedereinführung von gegenseitigen Strafzöllen zu verhindern.

Zugleich muss die EU jetzt die richtigen Schlüsse ziehen und Handelsabkommen mit anderen Staaten voran-treiben. Die Risiken für den europäischen Handel sind zu diversifizieren, um mit den erkennbaren Risiken im US-Handel umgehen zu können. Dafür sind insbesondere die Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, Australien, Indien und Indonesien geboten.

Fans der IdeenExpo: Dr. Volker Schmidt, Aufsichtsratsvorsitzender der IdeenExpo und David McAllister.

Foto: Gottfried Schwarz

CDU und CSU sprechen sich gegen das Verbrenner-Verbot ab 2035 aus und wollen stattdessen auf Technologieoffenheit setzen. Wie nehmen Sie im Europa­par­lament die Stimmungen in dieser Frage wahr?

Eine knappe Mehrheit des Europäischen Parlaments hatte sich im Juni 2022 mit dem Votum zur Überarbeitung der CO₂-Flottengrenzwerte von dem Prinzip der Technologieoffenheit verabschiedet. Grüne, Sozialisten und Linksliberale haben sich mit ihrer innovationsfeindlichen Position somit leider durchsetzen können. Diese Fraktionen gefährden damit hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland und ganz Europa.

Als CDU und CSU wollen wir in der kommenden Legislatur eine Zukunftsperspektive für den sauberen Verbrennungsmotor schaffen. Dafür braucht es eine Abkehr vom Verbrennerverbot ab 2035 und einen Ansatz, der es ermöglicht, die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors zu erhalten und technologieoffen weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang spielen synthetische Kraftstoffe eine entscheidende Rolle.

Neben dem ambitionierten deutschen Regulierungsaufwand produziert die EU zusätzliche Bürokratie, wie zuletzt beim Lieferkettengesetz. Ein klarer Wettbewerbsnachteil. Gibt es Hoffnung auf weniger Bürokratie aus Brüssel?

Um der Überregulierung unserer Wirtschaft entgegenzuwirken, werde ich mich aktiv für einen Belastungsstopp für neue und laufende EU-Initiativen einsetzen. Es muss darum gehen, komplexe EU-Gesetzgebung in ihren wichtigsten Bestandteilen zusammenzufassen und überflüssige Regelungen abzuschaffen. So bin ich für eine Überprüfung der Taxonomie und des Green Deals auf Praxistauglichkeit. Insbesondere energieintensive Unternehmen, darunter auch die Stahl- und Metall­industrie, brauchen ein verlässliches Produktions­umfeld, das ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit sichert.

Sinnvoll ist ein unabhängiger europäischer Normenkontrollrat, der die Bürokratiekosten misst. Daran an­schließen muss sich ein EU-Wettbewerbsfähigkeits­check und ein Aktionsplan zur Reduzierung der regulatorischen Belastung.

Das europäische Lieferkettengesetz führt zu unnötig großen bürokratischen Belastungen – insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Das Gesetz kommt zu einer Zeit, in der unsere Betriebe ohne­hin durch hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und Engpässe in den Lieferketten belastet werden. Die Effek­tivität des Gesetzes mit Blick auf den internationalen Menschenrechts- und Umweltschutz ist darüber hinaus fraglich. Das Lieferkettengesetz lehne ich daher in seiner aktuellen Form ab. Generell braucht es Erfolgs- und Effizienzkontrollen, die künftig Maß­nahmen hin zu einem nachhaltigeren Wirtschafts­modell praxisnah ausgestalten, statt die wirtschaftliche Dynamik auszubremsen.

Die Zahl der EU-Kritiker scheint in den vergangenen Jahren gewachsen zu sein. Kürzlich ließ die AfD-Forderung nach einem „Dexit“ aufhorchen. Welche Folgen hätte ein EU-Austritt für die deutsche Wirtschaft?

Die AfD ist ein Standortrisiko für Deutschland. Forderungen nach einem deutschen EU-Austritt sind nicht nur geschichtsvergessen, sie sind auch aus ökonomischer Sicht nicht haltbar.

Wie das Institut der deutschen Wirtschaft kürzlich berechnet hat, hätte ein Austritt aus der EU und aus der Eurozone dramatische Folgen für unser Land. Deutschland könnte rund zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung verlieren. Das bedeutete einen Wohlstandsverlust von 400 bis 500 Milliarden Euro jährlich. Nicht nur würde Deutschland als Exportland stark getroffen, die Lebensgrundlage vieler Menschen in unserem Land wäre bedroht: rund 2,2 Millionen Arbeitsplätze könnte auf diese Weise verloren gehen.

Die Menschen und die Unternehmen bei uns in Norddeutschland profitieren in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen von der Europäischen Union. Der Binnenmarkt ist eine der größten Errungenschaften der europäischen Einigung neben Frieden, Freiheit und Stabilität. Wenn wir künftig mit den führenden und aufstrebenden Digitalstandorten wie den USA, China und Indien mithalten wollen, geht das nur gemeinsam.

Im Wahlkampfmodus: David McAllister beim Kleinen Parteitag der CDU in Hildesheim.

Foto: Gottfried Schwarz

Einmal abgesehen von populistischen Maximalforderungen wie einem EU-Austritt – bei wel-chem Thema können Sie auch als überzeugter Europäer Kritik an der EU nachvollziehen?

Während Nationalisten, Radikale und Demagogen von ganz rechts und ganz links die EU zerstören wollen, wollen wir als überzeugte Europäer unsere Staaten-gemeinschaft weiter verbessern.

Die kommende Europawahl ist in diesem Zusammenhang wegweisend. Der europäische Sicherheitsraum ist von innen und außen bedroht. Der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt uns täglich vor Augen, dass Frieden zerbrechlich ist und wir unsere Freiheit verteidigen müssen. Mit dem Aufstieg Chinas verändern sich die Kräfteverhältnisse in der Welt grundlegend. Die digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und der Kampf gegen den Klimawandel haben die Weltwirtschaft verändert und werden dies auch in Zukunft tun. Die transatlantische Partnerschaft mit den USA ist stark, aber wir müssen sie künftig umfassender und nachhaltiger stärken, damit sie von partei-politischen Kurswechseln in Washington unberührt bleibt.

All diese Herausforderungen verlangen den vollen Einsatz von uns überzeugten Europäern. Ich bin überzeugt: Die Europäische Union kann besser werden. Sie muss besser werden. Um ihre Erfolgsgeschichte fortzusetzen, muss die EU sich auf die zentralen gemeinsamen Aufgaben konzentrieren. Wir brauchen mehr Europa, wo Europa mehr kann: bei innerer und äußerer Sicherheit, Migration, Wirtschaft, Energie oder Klimaschutz. Sie muss für die Menschen da sein. Die EU muss den Unternehmen und Menschen im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft einen konkreten Mehrwert bieten.
Dafür werde ich mich auch nach dem 9. Juni in Brüssel und Straßburg engagieren.


[INTERVIEW: DR. EIKE FRENZEL]

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